EKW105 Mitten in der City

TL;DR Viel zu eingeschränkt ist das Sortiment von REWE-City…

An Tages Neige, wenn die Sterne kommen,
Alte Feuer, deren Wärme längst verglommen,
Tragen auf der Schwelle grenzenloser Schwärze Meteore Licht in unsere Herzen

Lassen Träume keimen
Auch wenn all die Sterne
Nur Neutrinoschwärme weinen
Und die Meteore in der Reibungswärme
Bald verglühn

An des Tages Neige könnt ich mich bemühn
Glühwürmchen Deinen Namen in den Himmel sprühn zu sehn
Doch mach ich’s nicht. Ich hab zu tün

Hi, Matthias hier. Ich lebe ich, aber, wie gesagt, ich hab zu tün. Dennoch habe ich einige Reimdingsis für Euch und ein Liedzwodreivier. Einfach nur, weil ich Euch lieb habe und weil hier eh so Einiges rumliegt, das mal aufgesagt werden müsste. Los geht’s:

Ein Trauerschnäpper flattert träge
In das Herz der Kettensäge
Voller Trauer schnappt Klothilde
Sich Ihr Smartphone, und im Bilde,
Das sie postet, säh, wer wollte,
Und der Frau auf Insta folgte,
Eine rote Spänewolke

Ja. Zwei Reimdingsis habe ich noch und ein Liedzwodreivier. Vielleicht sagte ich das schon?

An der Kante
Kleiner Spitz und großer Vogel
Weiße Möwe, schwarzer Hund
Auf den Klippen, beide holen
Schwung für ihren großen Sprung
Sie fliegt auf, er springt ins Leere
Sie schaut runter, er hinauf
Sie entschwebt der Erdenschwere
Er schlägt sehr weit unten auf

Es gibt in meinem Witz-Besitz
‚N mittelguten Kiebitz-Witz:
Kommt Kiebitz in die Therapie
Und sagt: Frau Doktor, niemals nie
Werd ich ich in meinem Habitat
Lang überleben. Dauernd hat
Der Bauer, der die Wiese mäht
‚N neues Wiesenmähgerät
Das meine Brut im Nu zersägt
Und mir stark auf die Eier gäht

Naja. Und damit lass Ichs dann bewenden. Noch ein Lied und dann ist Ende.

Da fliegt ein viel zu kleiner Kranich
(Viel zu kleiner Kranich)
Überm REWE-City-Markt
(REWE-City-Markt)
Hat den Rest der Schar verloren
(Rest der Schar verloren)
Und er friert auch ziemlich arg
(Friert auch ziemlich arg)
Und er ärgert sich!
Sehr stark
Übers eingeschränkte Sortiment
Von REWE-City!

Viel zu eingeschränkt
Ist das Sortiment
Von REWE-City…

Sitzt ein Specht und klopft sehr leise
(Sitzt ein Specht und klopft sehr leise)
An die Tür vom Burger King
(An die Tür vom Burger King)
Klopft beständig an die Scheibe
(Klopft beständig an die Scheibe)
Mit dem Schnabel. Ding Ding Ding
(Seinem Schnabel. Ding Ding Ding)
Und es wütet in ihm drin
Weil die Pommes Ding Ding Ding
Für die Tonne sind

Weil die Pommes innen drin
In dem Burger King
Noch gefroren sind

Währenddessen macht ein Spatz
Einem Panzer keinen Platz
Und das hat er dann davon
Währenddessen macht ein Spatz
Einem Panzer keinen Platz
Und verstummt

Hinkt ein viel zu alter Erpel
(Hinkt ein viel zu alter Erpel)
Auf dem Stadtumgehungs-Ring
Hat den Rest der Schar verloren
(Hat den Rest der Schar verloren)
Macht sein Erpel-Ding
Und er strauchelt
Weil in ihm
Wie auf dem Umgehungsring
Viele Laster sind

Auf dem Stadtumgehungsring
Viele Laster sind
Mitten in der City

Kriecht ein flügellahmer Falke
(Kriecht ein flügellahmer Falke)
Morgens ins Büro
(Morgens ins Büro)
Er hat keine Lust auf gar nichts
(Er hat keine Lust auf gar nichts)
Doch nu‘ isses eben so
(Doch nu‘ isses eben so)
Tippt sein Passwort
Irgendwo
In sein Nutzer… konto.
(Im Shop) Bei REWE-City

Für die Lieferung
In der Dämmerung
Von REWE-City

Währenddessen macht ein Spatz
Einem Panzer keinen Platz
Und das hat er dann davon
Währenddessen macht ein Spatz
Einem Panzer keinen Platz
Und verstummt

EKW104: Utopia

Matthias, Kai, Timm und Karla haben sich Projekte zum Thema „Utopia“ ausgedacht. Es gibt Musik, ein Computerspiel, Illustration und Ideen zur Nahrungszubereitung. Viel Spaß 🙂

Shownotes:
The Last Tree: Computerspiel mit Musik von Karla (Musik spielt nur zuverlässig, wenn man Firefox nutzt): https://baumhaustuer.itch.io/the-last-tree
Timms Produktionen in der Geschichtenkapsel: https://geschichtenkapsel.de/personal/timmsuess/
Timm bei mastodon.art: https://mastodon.art/@lordampersand
Die Entwicklung von Timms Utopia-Illustration: https://mastodon.social/web/statuses/106428133403853318
Kais Hobbykochpodcast: https://hobbykoch-podcast.de
Essenszubereitung in der tschechischen Produktion „Die Besucher“: https://www.youtube.com/watch?v=SqlAP8Sit00

EKW103 Impftermin

Hi, Matthias hier. Dieses mal gibt’s nur eine ganz kurze Episode, weil ich nämlich noch was vor habe. Also: Vielleicht .Ich weiß es noch nicht zu hundert Prozent, aber ich warte eigentlich minütlich auf die Nachricht vom Impfportal Niedersachsen, dass ich jetzt aber fix zum meinem Impftermin erscheinen soll. Ich hab da nämlich einen Brief bekommen. Von der Ministerin. Und da schreibt sie mir, dass ihr meine Gesundheit und ihr Schutz ganz besonders am Herzen liegt. Darum sag ich schon mal „Tschüss“ und stelle mein Handy wieder an. Man kann ja nie wissen, wann es passiert. Tschüss!

Impftermin

Er liegt auf dem Schreibtisch
Der Brief mit Landespony drauf
Schönen Gruß von der Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Du wirst geimpft, Mensch, freu Dich drauf

Geh einfach nur auf impfportal-niedersachsen.de
Klick dich durch und mach Termin
Du kriegst eine Email (oder SMS oder beides, egal!)
Und kommst zum Termin zum Impfzentrum hin

Ein Pieks, und Corona ist voll egal
Du darfst wieder nach Mecklenburg-Vorpommern (yeah!) und in den Senegal

Impftermin, bald darf ich endlich hin!
Impftermin, ist wie ein Lottogewinn!
Impftermin, ist der Stoff erst mal drin
Impftermin, fick Dich, Spike-Protein!

Jetzt schnell in die Hotline
Denn die Website kapier ich nicht
Und die Datenschutzerklärung will ich auch nicht lesen, muss ich aber, steht da, ausdrücklich!

Schon zehn Minuten später, sagt ein mittelnetter Mann,
Sie müssen noch warten
Vor Ihnen sind noch 2, 3 Millionen andere dran

Ich sag, ich nehme auch Astra, oder Johnson & Johnson, mir egal
Und er nur: Whatever, probier’s im Juli noch mal

Impftermin, is grad schwierig zu krieg’n!
Impftermin, ist wie ein Lottogewinn!
Impftermin, immerhin, ich bin drin (Wartlistenplatz, jetzt, is klar)
Impftermin, läuft bei Dir, Spike-Protein!

EKW102 Höhlengleichnis

Koffer-Wörter-Solist Matthias konnte einmal mehr Tausendsassa Kai überreden, als Stargast in Episode 102 über Dinge zu dialogisieren. Diesmal geht es – apropos Dialog – um Platons Höhlengleichnis, um Pippi Langstrumpf und diese Sache mit dem guten Leben und der Kunst.

Die Wikipedia-Links zu Platon, Sokrates und dem Höhlengleichnis verlinke ich hier mal nicht. Das kriegt ihr selber hin, woll?

EKW101 Ein Koffer Musik

Hi, Matthias hier.

Ich schau mal grad auf die Uhr, und, ja, tatsächlich, die letzte Folge, die Nummer Einhundert, die ist jetzt auch schon wieder einen Monat und vierzehn Tage her. WTF? Werdet Ihr fragen. Hieß es damals nicht „Bis nächste Woche?“

Tja, nun. Das nennt man dann wohl Leben, nicht wahr? Bei mir ist eine ganze Menge passiert hüstel, ja, wirklich! Ich hatte einfach keine Zeit, Ihr Lieben! Und, viel wichtiger, auch keine Lust. Bis heute. Und, Ihr habt es schon gehört, es ist auch Einiges anders als zuletzt. Neue Intro-Mucke, yeay(!), denn mir kam die alte stark zum Hals heraus und außerdem hab ich zuletzt sowieso recht ausgiebig mit Musik herumexperimentiert, da lag eine neue Intromusik irgendwie in der Luft. Wie gefällt sie Euch? Lasst mir doch gerne einen Kommentar da. Man kann mich erreichen über diverse Kanäle, die Ihr lieben Kofferestos und Kofferastañas allesamt betrachten könntet, klicktet Ihr nur einfach auf meiner Website kofferwoerter.trivial.studio gaaaaanz unten auf den „Über mich“ Link.

Die heutige Folge ist irgendwie mehr so eine Art kreativer Tätigkeitsbericht darüber, wie ich meinen letzten Monat verbracht habe und das Stichwort lautet in der Tat „Musik“. Denn eigentlich, das habt Ihr beim Hören der letzen Episoden wahrscheinlich eh vermutet, bin ich ein verhinderter, weil nicht allzu talentierter Musiker mit der nervigen Eigenart, es dennoch nicht lassen zu können. Der Koffer Wörter wird heute zu einem Koffer Musik, wobei ich versprechen kann: Beim letzten Stück dieser Folge gibt es auch selbstgezimmerte Lyrics zu bestaunen, so dass ich dem Stempel „Thema verfehlt“ auch dieses Mal ganz knapp entgehe.

Doch zunächst zum Anfang, und der Anfang von’s Janze liegt wie so häufig in meiner Biographie als Kirchenmusiker, eine Qualifikation, die vor Urzeiten ich aus Langeweile, Dummheit und Naivität heraus neben meinem Abitur erworben habe. Und neben einer Urkunde der Evangelischen Landeskirche von Westfalen über die „Anstellungsfähigkeit als C-Kirchenmusiker“ habe ich damals ein bisschen was über Musiktheorie, Kontrapunkt und Komposition gelernt. Nichts, was ich jemals wieder groß gebrauchen konnte, doch letztens, kurz nach der letzten Koffer-Wörter-Folge, als ich nach kreativen Zerstreuungsmöglichkeiten suchte, fand ich mich plötzlich am Klavier sitzend und ein kleines polyphones Klavierstückchen vor mich hin spielend wieder. Ich hab’s aufgenommen und klingen tut es so:

(Klavierstück)

So weit, so gefällig. Doch war diesem Stückchen noch eine weitere kleine Karriere vorherbestimmt, da eines Tages der Sohn an mich herantrat und sagte: „Vater, ich brauche Musik für mein Computerspiel.“ Und auch hier muss ich jetzt ein wenig ausholen. Der Sohn bastelt in Ermangelung ausreichend herausfordernder schulischer Stimuli wahrend des Corona-Lockdowns Computerspiele und nimmt an so genannten Game-Jams teil. Zeitlich befristete Aussschreibungsdingsis, wo Menschen für Ruhm und Ehre und vor allem zum Neue-Dinge-Lernen selbst Computerspiele bauen. Ich hab ihm da schon ein paarmal Background-Musik geliefert. Dieses Mal wollte er was sehr reduziertes, denn das Thema war „schwarz-weiß“. Also haben wir uns darauf geeinigt, dass ich ihm 8-bittige 80er-jahre-Coputerspielmusik á la Gameboy oder NES bastele. „Ach so,“ sagt er dann noch. Und ich will einen Plattformer (also sowas ähnliches wie z. B. Super Mario) mit mehreren Leveln und mit unterschiedlicher Musik bauen. Ich bräuchte also insgesamt sechs(!) Stücke. Bis Ende der nächsten Woche.“

Soviel zum meinem Ansinnen, endlich mal wieder eine Episode „Ein Koffer Wörter“ aufzunehmen. Denn erst mal gab es Arbeit. Und damit kommen wir zurück zu dem Klavierstückchen von eben. Denn es ist das eine, sich in die Machart von Retro-Computermusik hineinzufuchsen. Aber etwas völlig Anderes ist es, auch gleich noch sechs verschiedene Ideen zu entwickeln. Da ist das Recyceln von bereits existierenden Dingen eine ziemlich naheliegende Angelegenheit. Stück Nr. 1 war also das inventionsartige Stück von eben nur als Retro-Chiptune-Version. Aus

(Kurzer Einspieler Klavierstück)

Wurde also das hier:

(Chiptune-Track Nr. 1)

Bein zweiten Track machte ich mir dann eine vorsichtige Mahnung meines Sohnes zu Eigen. Der erste Track sei ja ganz gut und retro und so, aber es wäre schon gut, wenn Nr. 2 ein wenig mehr „Action“ hätte. Also nahm ich das orientalisch angehauchte Thema, das mir gerade durch den Kopf tänzelte und setzte die Geschwindigkeit auf das Doppelte.

(Chiptune-Track Nr. 2)

Bumms. Aus. Das lässt sich dann noch siebzigmal wiederholen und du bist offiziell blöd im Kopf. „Ja“, sagte der Sohn. „Sehr schön. Auf die Art könne es auch im nächsten Level gerne weitergehen.“ Hab ich also in diese Richtung weitergemacht. Diesmal weniger orientalisch, dafür deutlich klassisch-Mario-mäßiger:

(Chiptune-Track Nr. 3)

„Okay“, meinte der Sohn. „Du bist im Thema. Das nächste Stück sollte vielleicht etwas chilliger werden.“ Das bedeutet glaub ich so was Ähnliches wie „ruhiger“. Oder „lässiger“. Aber eben auch noch schwerfällig oder irgendwie Alte-Leute-mäßig. Geworden ist es dann so:

(Chiptune-Track Nr. 4)

Den leichten Bierzelt-Einschlag am Schluss bitte ich zu entschuldigen, aber ich fand’s irgendwie lustig. Wenn ich schon keine Maß mehr trinke, darf ich doch wenigstens von ein wenig Okroberfest-Atmo träumen, nicht wahr? „Okay!“ meinte der Sohn. „Aber zum Ende hin braucht’s noch mal richtig Action! Geht da noch was?“ Klar geht da noch was, denke ich und bin schließlich hiermit zu ihm gekommen:

(Chiptune-Track Nr. 5)

Ich bin ein wenig stolz, sagen zu dürfen, dass ich den Sohn mit meiner Schlagzahl (ungefähr ein Track pro Tag) ein wenig unter Druck setzen konnte. Er kam mit dem Programmieren nämlich nicht mehr nach. Und vor allem der Schluss war dann eine echte Mammutaufgabe für ihn, denn, klar: So ein echter Plattformer, der braucht am Ende auch einen echten Bosskampf. Wenn die eine oder andere nicht weiß, was das ist: Mann kämpf am Schluss hat gegen das Chefmonster. Wir nannten das früher Endgegner, heute heißt es auch im Deutschen Bossfight oder Bosskampf. Und während Villabajo noch verzweifelt programmieren musste, hatte Villariba die Bosskampfmusik bereits fertig:

(Chiptune-Track Nr. 6)

Tja, nun. Das lässt sich dann noch ein paar Minuten weiter cyclen, also wiederholen und am Ende gewinnen natürlich die Guten und das Computerspiel ist natürlich ganz kurz vor Abgabefrist fertig geworden und abgegeben worden und wieder einmal wurde eine Woche sinnloses Homeschooling durch sinnvolles Selber Lernen gerettet. So. Nur: Der Koffer Wörter, der war natürlich immer noch nicht fertig. Zumal ich nach so viel Synthesizer- und Klavier-Gedudel erst mal Bock auf Gitarrenmusik hatte. Und weil Ostern im Radio gefühlte 300 Sendeminuten über vergangene, präcorona-Ostern in und um den Vatikanstaat herum in meinem Radio liefen, hatte ich irgendwann das Bedürfnis auf einen Ausgleich.

(Song St. Peter’s Square)

Und damit Tschüß für heute. Den Text kann man übrigens wie immer in den Shownotes nachlesen, nur dass einige der Apple-User_innen Schwierigkeiten haben dürften, die zu finden. Die allerneusten Updates zeigen die n#mlich nicht mehr an. Nicht nur nicht bei mir, sondern bei allen Podcasts. Tolles neues Feature, oder? In diesem Fall müsst Ihr auf den „Folgenwebsite“-Link klicken (wenn Ihr ihn denn findet), oder einfach direkt auf kofferwoerter.trivial.studio gehen. Dort gibt’s die Shownotes weiterhin und Apple… Ach, egal. Bis die Tage.

Text: St. Peter’s Square

It’s early dawn down there on Peter’s Square
A rat on the pavement, alone,
The lauds overdue, the rat is sunken in prayer
A pope lies dead on the stone

A runnel of blood runs down the stairs
Deep purple, warm and sweet,
The rat would know, the muzzle is wet
First supper stains the cheeks

A devil is crying at the gates
A phone rings, end is near,
An amateur drone ascends and takes
The image of the year

This is the day
Urbi et Orbi
This is the day
Servitude’s gone

This is the day
Of mercy and glory
This is the day
Heaven has come

A suicide note in blood somewhere
It’s written on the wall
„If god exists, why should He care?
If not, why live at all?“

A runnel of blood runs down the stairs
Deep purple, warm and sweet,
The rat would know, the muzzle is wet
First supper stains the cheeks

A devil is crying at the gates
A phone rings, end is near,
An amateur drone ascends and takes
The image of the year

This is the day
Urbi et Orbi
This is the day
Servitude’s gone

This is the day
Of mercy and glory
This is the day
Heaven has come

It’s early dawn and it tries to hide
The rat is sunken in pain
The poisoned blood of god inside
And all the hope in vain

This is the day
Urbi et Orbi
This is the day
Servitude’s gone

This is the day
Of mercy and glory
This is the day
Heaven has come

EKW100 EINHUNDERT

TL;DR Und Stabreim ist Stabreim, bis in mein Grab rein sind Binnenreime viel geiler als keine.

Hi, Matthias hier. Ich bin 100. Es ist spät. Sehr spät. Aber ich bin 100. Und ich bin froh, dass ich es tatsächlich geschafft habe. Einhundert Folgen „Ein Koffer Wörter“, das ist schon ein ordentliches Brett. Und wer auch immer Du da draußen bist und zuhört: Danke, dass Du Dir das antust! Und wenn Du ein klitzekleinesbisschen Zeit hast, wäre es toll, wenn Du dem Koffer bei Apple-Podcast oder in anderen Podcast-Portalen eine gute Bewertung gibst. Ich habe ein wenig Statistik zusammengetragen: In den ersten 100 Folgen inklusive der Nullnummer und dieser Folge hier habe ich 308 Reimdingsis vorgetragen, davon einige ganz kurz, Haikus, Vierzeiler, und einige sehr lang. Und 10 davon habe ich in irgendeiner Form als Musikstück vertont. Ich habe mit entschlossen, ab Folge 101 einen anderen Veröffentlichungsrhythmus einzuschlagen. Ab der nächsten Folge gibt es den Koffer nur noch einmal pro Woche. Wahrscheinlich donnerstags oder freitags. Du weißt ja, das geht bei mir häufig eh ineinander über… Und bevor ich jetzt das heutige Feier-Reimdingsi vortrage, möchte ich zunächst noch ein Gedicht vorlesen, das meine Tochter mir eben gerade zum 100. Koffer-Jubiläum geschrieben hat:

Ich pack ’nen Koffer voll mit Worten,
Reis‘ mit ihm zu fernen Orten,
Schreibe, dichte, höre zu,
Jedes Wort bekommst nur Du,
Mit kleinen Briefen kommen sie,
Gedichte, Texte, Fantasie,
Bald komm ich zurück zu Dir,
Dann sind wir wieder wir.

Könnta mal sehen: Für Nachschub ist gesorgt und wahrscheinlich werde ich den Koffer in ein paar Jahren einfach an die Blagen weitergeben und das habt Ihr dann davon 🙂

Jetzt aber zum heutigen Feier-Reimdingsi. Ich wünsche Dir viel Spaß dabei und bis nächste Woche. Tschüß!

Ein Koffer Wörter

Jeden Abend nach dem Essen
Sitze ich vor meinem Mac
Trinke literweise Cola
Dann ist elf. Dreck!

Ich muss heute noch was koffern
Und ich habe: Nichts!
Und ich gucke sehr betroffen
Brauche ein Gedicht

Denke: Haus, Maus, Laus,
Labskaus, Blumenstrauß,
Klaus, Nee! Leichenschmaus
Ich seh, es sieht Scheiße aus.

Nackig steh ich da, vor meinem Schöpf-ah,
Ohne Peil, ohne Plan und ohne Schlüpf-ah

Ein gebrochener Mann, mit ’nem Koffer im Arm
Arm dran, Koffer leer,
Kopf lahm – urgh – schwer!

Und ich starre auf den leeren Texteditor,
Wie ’ne Hexe entsetzt auf’n Inquisitor

Stichpunkte raus! Denke: Haus, Rennmaus,
Labskaus, Nikolaus,
Klaus, Nee! Schließ ich aus!

Und dann ich starte mein Musikprogramm
Lade Drummer, Loops, mach das Keyboard an

Und ich haue in die Tasten, weil ich das halt kann
Brass, Bass, Off-Beat, und dann einfach mal ran:

Wörter! Ein Koffer Wörter!
Jetzt noch härter! Und Abgeklärter!

Wörter! Ein Koffer Wörter!
Er kommt später! In den Äther

Emphasen, Ellipsen, Enumerationen
Pointen, Parataxen und Pallindrome

Oxymorone, Hendiadyoine, Paradoxone, aufgepasst, Freunde!
Alliterationen und Allegorien
Accumulationen, Antonomasien

Symbole, Sentenzen und Evidenzen
Anaphern, Metaphern haben auch Grenzen

Und dann ich starte mein Musikprogramm
Lade Drummer, Loops, mach das Keyboard an

Und ich haue in die Tasten, weil ich das halt kann
Brass, Bass, Off-Beat, und dann einfach mal ran:

Wörter! Ein Koffer Wörter!
Jetzt noch härter! Und Abgeklärter!

Wörter! Ein Koffer Wörter!
Er kommt später! In den Äther

Alle Jamben, Trochäen, fick ich im stehen, denn ich will doch so gerne Daktylen sehen

Ich kann Kreuzreime paaren, Blankverse haben bei mir stets einen gut, denn ich mag ihren Namen

Balladen, Sonette, Haikus und Dada sind viel eleganter und geiler als Prada

Und Stabreim ist Stabreim, bis in mein Grab rein sind Binnenreime viel geiler als keine

EKW099 Schnaps trinken

TL;DR Ich würde Schnaps trinken, würd ich dann nicht abstinken. Neurolog_innen würden wohl abwinken. Nervenisolation im Arsch! Ich würde krass hinken, MRT – bling! – es würde krass blinken und das Insurance Rating würde auch sinken. Darauf eine Kiste Beck’s auf Ex!

Hi, Matthias hier. Schnapszahl! Folge 99 des Koffer-Wörter-Podcasts und das am 11. des Monats! Ja, Pustekuchen. Ist schon wieder der 12. also nach Mitternacht. Wie man die einzigartige Gelegenheit einer Doppelschnapszahl so amateurhaft versauen kann, bleibt mein ganz persönliches Geheimnis. Na gut, immerhin, 99, da ist ja schon fast ein wenig Zeit, um Bilanz zu ziehen. Aber weißt du was? Lass uns das doch morgen machen und heute einfach nur ein bisschen Spaß haben. Ich hab momentan ja immer viel Spaß beim Rumbasteln mit Musik und ich habe so eine ganz vage Ahnung, dass ich diesen Spaß recht exklusiv habe. Immerhin wird das hier als Reimdingsipodcast verkauft und nicht als Musikfrickelpodcast. Aber ich dachte mir, so als ganz allererste vorgezogene Zwischenbilanz vor der gloriosen Folge Einhundert, die ich mir morgen irgendwie aus den Fingern saugen muss, ist vielleicht ein wenig Musik ganz passend. Und zur Feier des Tages trinke ich jetzt eine Cola. Tschüß.

Schnaps trinken

Neunundneunzig kleine Koffer hocken mittelkrass besoffen auf der Hutablage, und ich frage mich seit Jahren, warum ich nicht auch mal Hut trage, denn so ist die Sachlage, ich bin alt und sollte eher’n Buch haben, wo ich heftig absahne,
doch solang ich Wörter falsch verwende, meine Zeit im trauten Heim mit Reim verschwende, ohne Ende feiste Reimdingsi-Bände in die Welt versende, gibt es nichts, was meine Hände fassen, das ich einfach mal aus Spaß verprassen kann, auch ohne mich zu hassen, kann ich es nicht einfach auch mal lassen, Mann?

Ich habe Folgen über Küsse und natürlich das Bedürfnis des Geküsst-werden-müssens, über dumme Nüsse und was ich an ihnen nicht vermisse gemacht, habe Licht ins Dunkel, Dunkelheit ins Licht gebracht, hab mich lustig über Lust gemacht, hab Euch ausgelacht, bis Ihr aufgewacht seid, mir was ausgedacht, was Euch aufgebracht hat und ich hätte nicht gedacht, dass mir das Spaß gemacht haben könnte, hat’s auch nicht, ich hab’s für Euch gemacht und nach neunundneunzig Episoden nachgedacht.

Ich würde Schnaps trinken, würd ich dann nicht abstinken
Neurolog_innen würden wohl abwinken
Nervenisolation im Arsch! Ich würde krass hinken
MRT – Bling! – Es würde krass blinken
Und das Insurance Rating würde auch sinken
Darauf eine Kiste Beck’s auf Ex!

EKW098 Whateverest

TL;DR Betäubung ist die Zwillingsschwester der Schuld oder besser gesagt des Schuldgefühls, und wenn ich gerade niemand Konkreten finde, dem/der gegenüber ich mich mit Betäubung schuldig mache, dann muss eben das eigene Spiegelbild herhalten.

Hi, Matthias hier. Womit betäubst Du Dich eigentlich so im Laufes Deines Tages? Wenn Du sagst: Gar nicht, dann glaube ich das nicht und ich würde Dich bitten, noch mal ein bisschen intensiver nachzudenken. Hier wirst du bei genauerem Nachdenken aber schon auf das kniffelige Problem stoßen, dass Du ja gar nicht wissen kannst, was ich mit „Betäubung“ eigentlich meine. Denn ja, ich nehme Dir gerne ab, dass Du nicht ständig unter einer betäubenden Medikation stehst und ja, rein statistisch ist es recht wahrscheinlich, dass Du kein_e Alkoholiker_in bist oder betäubungsmittelabhängig. Aber Du wirst wahrscheinlich auch das Gefühl oder die Motivation kennen, sich zum Beispiel mit Netflix, Dudelradio oder Podcasts zu betäuben. Man kann sich auch mit Nachrichten oder Onlineshoppen betäuben oder mit Renovierungsplänen für die eigene Wohnung. Jetzt sind schon wieder einige Sätze durch den Äther geflossen, aber ich habe immer noch meine eigene Frage nicht beantwortet: Was bedeutet das denn eigentlich: Betäuben? Für mich ist „Betäuben“ das, was ich tue, um das Leben kurzfristig erträglich zu machen in Differenz zu dem, was ich tun könnte, um mit dem eigenen Leben irgendwie zufrieden zu sein. Du merkst schon, der Gedanke atmet eine recht ungesunde Mischung aus preußischer Arbeitsethik und etwas schwurbeligem Existenzialismus. Da schwingt viel „Gesolltes“ und „Gewolltes“ mit, und ziemlich viel Eso, wenn ich das mal so sagen darf, man könnte schnell auch an Michael Endes Auryn-Amulett in der Unendlichen Geschichte denken, auf das der Satz „Tu, was du willst“ geprägt wurde, der, wie der Protagonist im Laufe des Buches lernen wird, „Tu, was du wirklich willst“ bedeutet, und selbst wenn’s dann eben bisschen flach und eso ist, wäre es vielleicht nicht so falsch zu sagen, dass Betäubung alles ist, was zwischen „Tu, was du willst“ und „Tu, was du wirklich willst“ geschieht. Es ist zumindest in meinem Leben so, dass dieses „Tu, was du wirklich willst“ mit überraschend wenig Kurzfrist-Gratifikation (wie’s eine Psychologin nennen würde) zu tun hat und überraschend viel Arbeit bedeutet. Und, ganz wichtig: Es gibt keinerlei Automatismus, dass viel und stetige Arbeit daran zu tun, was man wirklich will, auch wirklich zu höherer Zufriedenheit führt oder dass ich überhaupt in der Lage bin zu erkennen, was zum Teufel ich denn wirklich tun will!

Auf der anderen Seite ist das Binge-Watchen aller sieben Staffeln von Star Trek Deep Space Nine nach meiner Definition ziemlich sicher eine Betäubung, aber es ist eben auch eine grundsolide Serie, bei der man Grinsen, Mitfiebern, Heulen und mit den Augen rollen kann und das klingt doch erst mal gar nicht so verkehrt… Also, was denn jetzt? Und geben wir’s doch zu: Wenn ich auf dem Weg zur Arbeit im ÖPNV in die leeren Gesichter der Mitmenschen schaue, hab ich verdammt selten das Gefühl, sie hätten ein wenig Betäubung nicht verdammt nötig. Hilft nur alles nix, aber in meiner mit „Sollten“ und „Müssten“ vollgestopften Gehirnwelt ist Betäubung die Zwillingsschwester der „Schuld“ oder besser gesagt des Schuldgefühls, und wenn ich gerade niemand Konkreten finde, dem/der gegenüber ich mich mit Betäubung schuldig mache, dann muss eben das eigene Spiegelbild herhalten. „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer führt das sinnvollste Slash zufriedenste Slash betäubungsfreiste Leben im ganzen Land?“ Und der Spiel zuckt mit den Schultern und sagt nur: „Was weiß ich, aber du bist es ganz bestimmt nicht!“ Und dann gibt es nur drei Möglichkeiten:
Erstens: Du fragst den Spiegel nicht mehr, weilS‘ Dir egal ist.
Zweitens: Du sorgst dafür, dass er ein bisschen länger grübelt, indem du dein Leben etwas vorzeigbarer gestaltest, oder
Drittens: Du tötest alle anderen und Der Spiegel sagt nur noch: „Dääääää…!“

Du wirst Dir vielleicht denken, dass Alternative Nummer drei eher ausfällt, aber es ist schon überraschend, wie viele Typen im Laufe der Weltgeschichte diese Lösung gewählt haben, auch wenn sie mit ähnlich viel Arbeit verbunden ist, wie Alternative 2 und häufig mit dem eigenen Tod endet. Ich korrigiere: Immer mit dem Tod endet. Weil alle anderen Methoden übrigens auch, aber wir lassen Nihilistische Argumentationen in diesem Fall besser mal außen vor, sonst bekommt der Knoten in meinem Kopf die Form eines Auyrn-Amuletts und das wird mir dann deutlich zuuuu eso. Puh. Das war jetzt schon sehr viel Text und sehr wenig Reimgedingse und dabei wollte ich eigentlich noch loswerden, dass auch der so genannte Satanist Aleister Crowley „Tu was du willst“ als Leitspruch hatte, ach guck siehste, schon geschafft, aber es würde an dieser Stelle etwas zu weit führen zu erklären, warum er trotzdem ein Idiot ist, wenn auch ein schlauer. Und jetzt? Was reimt oder dichtet oder whatevert man denn da, um das Thema zu einem irgendwie sinnvollen Abschluss zu bringen? Ich wüsste es zwar, verrats Dir aber nicht, lieber Koffer, weil ich in meinem letzten Satz gerade ein so schönes Wort entdeckt habe, dass ich lieber darüber reimdingsen möchte. Tschüß.

Whateverest

Es weht ein Wind scharf aus Südwest
Am Gipfel des Whateverest
Den kriegt auch Christian ins Gesicht
Als er zu seinem Kumpel spricht:
Gleich sind wir oben, das ist fein
Allein für mich, denn ich will kein‘
Den später man im Guinness-Buch
Auf einem Gipfelfoto sucht
Da soll’n nur ich und Petra stehn
(Die Petra ist sein Yak. Und schön).
Dann schupst er seinen Kumpel runter
Vom Whateverest, der Hund, der!
Und ein Christian-Selfie später
Vor dem Gipfel, fängt das Klettern
Hoch zum letzten Gipfel an
Petra yakt dann aber stramm
An den Trensen bis der Christian
Runter in ’nen Gletscher fällt, Mann!
Und und so kommt es, dass der Berg
Von allen Menschen unbemerkt
Allein von einem Yak bestiegen
Wird, das, sollte man es kriegen
Höchstwahrscheinlich nie gesteht
Wie’s am Whateverest zugeht.

EKW097 Im Märzen der Bauer

TL;DR Aufgeweckte Schnecken stecken häufig ihren Schneckenstecken in die nächste Schnecke rein. Auch das kann wahre Liebe sein.

Im Märzen der Bauer
Die Sauen umbringt
Denn siehe, die hatten ihn sauber umringt
Und wollten ihn zwingen, die Ferkel zu hol’n
Nur war’n die geschlachtet, da war nix zu woll’n
Da floh unser Bauer hoch auf seinen Wagen
Und ließ von dort oben die Sauen erschlagen

Hi, Matthias hier und ich möchte Euch auch heute wieder an meinen herrlich skurrilen Alltagsbeobachtungen teilhaben lassen.

Zum Beispiel:
Mir ist ein Kochlöffel abgebrochen.
Es hat heute geschneit.
Ich bin den ganzen Tag schon sehr müde.

Herrlich verrückt, nicht wahr? Was soll man machen, wenn da das Leben nur so tobt und man bloß hineingreifen muss in das Potpourri der Skurrilitäten und alle nur so: Wow, was für ein Teufelskerl, was für ein Leben. Gestern gerade wieder: Der Rewe-Mann war da und hatte keine Paprika, zumindest nicht die vorbestellen gelben, was war das ein Hallo im Treppenhaus, „Es gibt nur rote? Ich rast aus?!“ Die liebe Frau schaut mich abends immer nur ungläubig an, wenn ich ihr von meinem Tag erzähle, ich wolle ihr wohl einen riesengroßen Bären aufbinden. Ja, sag ich dann zu ihr, die Sache mit dem Bären, das war noch mal eine ganz eigene Geschichte, die ging nämlich so:

Es hat sich letztens mal ein Bär
Bei mir verirrt, ist schon war her,
Das war, als man noch ohne Maske
Durch die die vollen Straßen raste
Und da macht es plötzlich „Brumm!“
Und rumms, reißt mich ein Braunbär um
Nicht weil er mich als Beute reißen,
Und alsbald verspeisen wollte,
Sondern weil ein viel gesuchter
Bär wie er, klar, auf der Flucht war
Da man seinesgleichen grollte
Als ich mich dann aufgerappelt
Seh ich, dass der Petz noch zappelt
Weil er selbst in einem Zaune
Hängt, der rings an einem Baume
Leidlich gut befestigt hing
Nur jetzt mit einer Tatze drin
Da sag ich „Lieber Meister Petz,
Das kommt davon, wenn man so hetzt!
Würdst Du gemessnen Schrittes schreiten
Würd das hier kein Leid bereiten!“
Sagt der Bär: „Dass ich Dich treffe,
Trifft sich gut, ich sag’s Dir, Cheffe,
Denn ich bin ein so genannter
Reimbär, der, kommt er gerannt, er-
Staunlich oft von einem Reimer
Eingebaut wird. Und nach meiner
Kenntnis bist du auch so einer.“

Ja, auch sowas ist der Definition nach ein Reimdingsi, wenn auch kein besonders gutes. Befriedigend Minus bestenfalls. Aber auch das ist das pralle Leben: Manchmal kickt der fehlende Alkohol so richtig und dann reicht es zum Schluss nur noch für einen lauwarmen Vierzeiler und das noch lauwärmere Versprechen, dass morgen alles besser wird. Ey. Ischwör. Tschüß.

Abends hat der Lampen-Mann
Die Lampen an.
Nur leider geh’n ihm dann zuhaus,
Bei seiner Maus die Lampen aus

Okay, geht das nicht wenigstens noch’n bisschen besser?

Kommt, wir gehen Igel striegeln
Die sich nachts im Tiegel spiegeln
Obacht, wenn die Igel lallen
Könnten sie ins Wasser fallen

Nein, es geht nicht besser:

Aufgeweckte Schnecken stecken
Häufig ihren Schneckenstecken
In die nächste Schnecke rein
Auch das kann wahre Liebe sein

EKW096 Theorie der modernen Lyrik

TL;DR Heute ist, bzw. war Weltfrauentag. Und darum gibt’s von mir heute keinen Rausschmeißer zum Schluss, sondern ich überlasse das letzte Wort einer der größten deutschsprachigen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, Else Lasker-Schüler. Das Gedicht heißt „An Gott“ und stammt aus dem Buch „Meine Wunder“ von 1911

Da sitzt ein Kerl, erwachsen, in der Stube, zieht sich probeweise Verse an, so’n bisschen wie bei H&M in der Garderobe, an- und wieder abgelegt, kurz an- dann wieder abgeregt, säh man in seinen Kopf hinein, er könnte 13 – Überschaum aus allen Poren tropfend – sein, dem überhaupt kein Reim zu peinlich oder klein sein kann, denn irgendwann, da hat sein Ich beschlossen, nicht oder nur wenig überzeugend vor sich hin zu reifen, kneift vor allen längstgestreiften Zeichen seines Fertigseins, und albert atemlos in Eins durch Kleines oder Großes.

Statt, wie alle ander’n einen Dachstuhl auszubauen oder cool mit flacher Hand das eine oder and’re Kind zu hauen, weil es den Leander aus der ander’n Klasse plattgemacht hat, achtet er nicht drauf, ob seine Kinder Klassenkonferenz in Quarantänezeiten schwänzen, weil er Verse sucht und Sätze, die er noch ergänzen muss, mit Wucht verflucht

Und zwischendurch Verzweiflungsmärsche durch das Sonnenlicht, weil der Exkurs zumindest kurz verspricht, dass alles knorke wird und sich zum Guten wendet, nicht nach kurzem Sturz zerbricht und unvollständig endet.

Hi, Matthias hier, ich habe mich aus Gründen im Laufe des Tage mit der Theorie der modernen Lyrik beschäftigt. Es gibt dazu ein hervorragendes Buch, genauer gesagt ein zweibändiges Werk, herausgegeben von Walter Höllerer und es ist die Leistung dieses Autors, dass er in seinem Werk „Theorie der modernen Lyrik“ ausschließlich Reimdingsi-Schmiede selbst und nicht etwa Literaturwissenschaftler_innen zu Worte kommen ließ, denn erstere pflegen zumeist eine Sprache oder Themenauswahl, die anderen Reimdingsi-Schmied_innen bei ihrem täglichen Struggle durchaus helfen kann, während zweitere einfach nur sehr komische Leute sind. Jetzt ist dieses Buch von Walter Höllerer schon was älter, selbst die von Norbert Miller und Harald Hartung herausgegebene Neuauflage von 2003 ist schon reichlich angestaubt, aber trotzdem stehen viele wahre und wichtige Dinge drin, auch wenn ich mir deutlich mehr Beiträge weiblicher Autorinnen wünschen würde. Aber: Isso, bleiben wir Pillermannträger heute also weitgehend unter uns. JEDENFALLS: Es gibt darin einen sehr schönen Text von Gottfried Benn, aus dem ich kurz zitieren möchte, einfach, um zu zeigen, wie altmodisch eigentlich unsere (und auch meine) Themenwahl in den Reimdingsis ist, denn Gottfried Benn ist jetzt ja auch nicht mehr so ganz taufrisch, sag ich mal. Er schreibt (und ich kürze jetzt an der einen oder anderen Stelle „Wenn Sie am Sonntag Ihre Zeitung aufschlagen, finden Sie in einer Beilage meistens (…) ein Gedicht. Es ist meistens kein langes Gedicht, und sein Thema nimmt die Fragen der Jahreszeit auf, im Herbst werden die Novembernebel in die Verse verwoben, im Frühling die Krokusse als Bringer des Lichts begrüßt, im Sommer die mohndurchschossene Wiese im Nacken besungen, zur Zeit der kirchlichen Feste werden Motive des Ritus und der Legende in Reimen gebracht (…). Ich gehe hiervon aus, weil dieser Vorgang einen Hintergrund hat, die Öffentlichkeit lebt nämlich vielfach der Meinung: da ist eine Heidelandschaft oder ein Sonnenuntergang, und da steht ein junger Mann oder ein Fräulein, hat eine melancholische Stimmung, und nun entsteht ein Gedicht. Nein, so entsteht kein Gedicht. Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht. Wenn Sie vom Gereimten das Stimmungsmäßige abziehen, was dann übrigbleibt, wenn dann noch etwas übrigbleibt, das ist dann vielleicht ein Gedicht.“

Ich finde, das ist ein sehr gutes Zitat, und vor allem ist es schon 70 Jahre alt und trotzdem müssen wir uns noch immer mit Novembernebeln und Krokussen herumschlagen, müsst ihr, liebe Koffer, Euch von mir Krokusse und Novembernebel anhören. Ja, seid Ihr denn bescheuert? Moment, werdet Ihr sagen, aber das ist ja immer irgendwie ironisch gebrochen. Stimmt, isso, aber trotzdem: Fortschritt geht irgendwie anders, oder? Ich will hier jetzt nicht dazu aufrufen, diesen Podcast zu de-abonnieren, denn das hab ich schon ein paar mal zu viel getan und inzwischen könnte ich den verbleibenden Hörenden die Folgen besser per Mail zuschicken, das wäre vom Kostenaufwand günstiger, aber man könnte ja einfach mal versuchen, nicht noch die siebte Ironieschleife zu drehen sondern einfach mal über die Dinge zu reimdingsen, die wirklich neu sind. Mit zeitgemäßen lyrischen Mitteln. Das Problem ist nur: Was soll das denn sein? Quantenphysik? Polyamorie? Völkermord? Gab’s zu Benns Zeiten auch schon. Wenn wir ehrlich sind, haben wir das Reimdingsi-Game schon mehrfach durchgespielt. Besonders wir weißen Pillermannträger haben so viele tote Bäume damit gepflastert, das sollte eigentlich für die nächsten paar hundert Jahre reichen. Nur, jetzt kommt’s: Was, wenn wir nix anderes können, oder noch schlimmer, in dem, was andere schon vor 100 Jahren zur Vollendung gebracht haben, so mittelmäßig sind, dass wir ganz persönlich sogar noch Fortschritte machen können? PP. Persönliches Pech, sag ich mal. Und Du, lieber Koffer, liebe Kofferöse, lies Dir doch vielleicht mal Reimdingsis von Nicht-Pillermannträgern durch. Heute ist, bzw. war Weltfrauentag. Und darum gibt’s von mir heute keinen Rausschmeißer zum Schluss, sondern ich überlasse das letzte Wort einer der größten deutschsprachigen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, Else Lasker-Schüler. Das Gedicht heißt „An Gott“ und stammt aus dem Buch „Meine Wunder“ von 1911. Tschüss.

An Gott

Du wehrst den guten und den bösen Sternen nicht;
All ihre Launen strömen.
In meiner Stirne schmerzt die Furche,
Die tiefe Krone mit dem düsteren Licht.

Und meine Welt ist still –
Du wehrtest meiner Laune nicht.
Gott, wo bist du?

Ich möchte nah an deinem Herzen lauschen,
Mit deiner fernsten Nähe mich vertauschen,
Wenn goldverklärt in deinem Reich
Aus tausendseligem Licht
Alle die guten und die bösen Brunnen rauschen.