Ich müsste mir mal einen Namen für Euch ausdenken. Erfolgreiche Podcasts machen sowas. Aus diesem catchy-Namen entsteht dann eine Community, die eigene Contentvorschläge macht, deutschlandweit die Säle füllt, also wenn nicht gerade Corona ist, und dann läuft die Sache mehr oder weniger von allein. „Laufen“ natürlich im Sinne von Podcast-Fame und das ist es ja, worum’s hier eigentlich geht. Also, wie soll ich dich und eine tausend Mithörkumpels nennen? Am besten wär‘s ja, wenn der Name irgendwas mit dem Titel des Podcasts zu tun hat. Ich glaub, ich nenn‘ Euch einfach mal „Koffer“. Genial oder? Jetzt guck nicht gleich so enttäuscht, Du Koffer(!), du gewöhnst dich dran. Ich hab mich schon dran gewöhnt.
Ungeheuer
Es scharen sich ums Lagerfeuer
Lauter laute Ungeheuer.
„Leute“, fragt ein Frosch die Runde,
„Für das Ungeheuerkunde-
Institut der Fachhochschule,
Wo ich für die Pflichtmodule
In Verhaltensforschung lehre,
Frag ich: Womit hab die Ehre
Ich in Eurem Kreis zu sprechen
Ohne Biegen oder Brechen
Oder Angst verspeist zu werden
Von den Ungeheuerherden?“
Plötzlich Stille. Und das eine
Ungeheuer fängt zu weinen
An und ist nicht mehr halten,
Bis sie ihm den Schädel spalten.
„Himmel!“ ruft der Frosch, „das ist
„Äußerst grauenhafter Mist!“
Sagt ein Ungeheuer: „Stimmt!“
Während es den Schädel nimmt
Und beginnt ihn auszuschlecken.
„Fakt ist, Froschgebeine schmecken
Nur mit Ungeheuerbrägen
Frisch geschlürft, der Mägen wägen.“
„Wägen?“ fragt der Frosch. Doch da
Ist er Matsche, ganz und gar.
„Wägen, schmatzt das Ungeheuer.
„Reicht mir mal den Pfefferstreuer!“
Na, wie fandst Du das Gedicht, Du Koffer? Gar nicht übel, oder? Mein Name ist Matthias, ich bin der Gepäcksbeauftragte hier im Podcast und heute geht’s, surprise, surprise, um Ungeheuer. Monster. Drachen. Ist klar geworden, denke ich, oder? Du Koffer?! Du bist wahrscheinlich so ein Edelkoffer. Mit Zahlenschloss. So ein Teil, das man im Flugzeug in diesen komplett dämlichen Verkaufsbroschüren sieht. Hast Du das schon mal beobachtet, dass jemand im Sitz vor oder neben Dir einen Flugbegleiter angesprochen hat und so was sagte wie „Excuse me, I totally fell in love into this classy suitcase. Do you accept Apple Pay?” Irgendwie schwer vorzustellen. “I actually wanna buy 5 of them, for the whole family. Yes, the grey ones… “
Das Thema “Ungeheuer“ oder „Monster“ ist ja schon eine Art home run für mich. Ich hab immerhin eine ganze Podcast-Serie über Monster veröffentlicht. Aber das weißt Du bestimmt eh schon, Du Koffer. Darum finden wir den Dreh, Alltagsängste oder unangenehme Situationen durch Monster-Methapern zu illustrieren auch ziemlich ausgelutscht, oder? Du Koffer?! Regt Dich das in so Promi-Shows auch immer auf, wenn Heather Schwibbelschwabbel ihren neuen Thriller vorstellt und dann ins Interpretieren kommt? Und irgendwas erzählt von „Ja klar, oberflächlich mag der Film so aussehen wie die Geschichte einer großbusigen, kinderfressenden Riesenechse, aber geht’s im Kern nicht eigentlich um die Konfrontation mit unseren kindlichen Urängsten?“ Wer hat Heather Schwibbelschabbel oder – ich will ja nicht sexistisch rüberkommen – wer hat Tom Cruise eigentlich erlaubt, eigene Gedanken öffentlich auszusprechen? Oder schreibt ihnen das Marketing den Scheiß wirklich so auf? Gut andererseits: Wenn sie das nur häufig genug machen, dann wird ihr Selbsthass vielleicht irgendwann so groß, dass sie das Monster einfach sind, versteht du? Du Koffer? Dann verschmelzen sie mit ihrer Rolle, fressen am Ende noch zwei, drei Talkshow-Hosts flüchten danach in die Rocky Mountains.
Mein Monster
Mein Monster ist ein Schild
Auf dem „Frau Rose“ steht
Ein Schild der Bundesagentur für
Einhundert Prozent Korrekt Bedruckte Schilder
Punkt
Die Bundesagentur für Einhundert Prozent Korrekt Bedruckte Schilder
Ist ein Scheißverein mit sehr viel Geld und Zeit und vielen Türen
Hinter denen Dinge wie Frau Rose harren
Sehr verhuschte Dinge
Voller Angst und Schüchternheit und Scheu
So dass man sie beschützen muss
Mit Schildern
Monsterschildern
Punkt
So wie das Schild, auf dem „Frau Rose“ steht
Mit einer großen, schweren Zimmernummer
Die viel größer und bestimmt viel schwerer
Als Frau Rose ist
Die Nummer, die das halbe Schild einnimmt
Die Steroid-gepäppelte Schwippschwägerin der kleinen Nummer
Auf dem leicht zerknickten Taschenmonster
Das ich aus der Jacke ziehe
Das sich falten lässt
Ganz anders als das Monster vor der Tür
Das Schild, auf dem „Frau Rose“ steht
Das niemals zittert wie mein Taschenmonster
Niemals nass vom Regen wird
Das keine Kaffeeflecken hat vom Warten
Auf dem Schreibtisch neben dem Computer
Punkt
Das Schild auf dem „Frau Rose“ steht
Kann brüllen, so wie alle Monster
So wie alle Monster brüllt es direkt
Ins Gehirn hinein
Es brüllt, dass ich mir einen Strick…
Moment, brüllt es, das packst du nicht
Spring einfach, brüllt es, aus dem Fenster
Hauptsache, du lässt das sehr verhuschte Dingelchen
Hinter der Tür die Dinge machen, die es gerne dingelt
Stempeln, falten und Kalender drehen
Horst anrufen, weil die Nummer dann besetzt ist
Und das Telefon nicht klingeln kann…
Das Schild brüllt: Siehst du nicht, brüllt es,
Dass du Frau Rose störst beim Dinge Dingeln?
Beim Verhuschte-Horst-Anrufe-Huschen?
Siehst du nicht, das dich dein Taschenmonster
Mit der kleinen Nummer in die Irre führt?
Dein Weg geht geradeaus, den Flur entlang zum Fenster
Geradewegs der frischen Luft und G entgegen
G = Schwerkraft
G = 9
Dann Komma
8
Dann 1
Dann Meter
Mal Sekunde
Zum Quadrat
Herrgott, brüllt es, jetzt spring schon
Aus dem Fenster
Sonst passiert noch was
Und das kann keiner wollen
Punkt
Mein Monster ist ein Schild
Auf dem „Frau Rose“ steht
Ein Schild der Bundesagentur für
Einhundert Prozent Korrekt Bedruckte Schilder
Punkt
Ich find es manchmal ganz schön tricky, die richtige Balance zu finden, Du Koffer! Ich meine die Balance zwischen Vierhebigem Paar-Reim-Klamauk und weniger zugänglichen Formaten. Ich trau Dir natürlich total zu, auch mal einen Kreuz- oder umschließenden Reim zu ertragen, und natürlich auch den ganzen anderen Kack, von Blankversen über Sonette, Terzette, Marathon-Balladen, Haikus (da fällt mir ein: ich könnt mal einen Reisegepäck-Haiku machen) bis hin zu Dadadaddadings und ungereimter Betroffenheitslyrik. Kann ich machen. Kriegst du hin. Weiß ich. Du bist ja nicht dumm. Du Koffer. Du willst es aber nicht immer. Also Du im Speziellen vielleicht schon, aber nicht Du im Durchschnitt deiner quantitativen Ausprägungsvariationen. Warst Du mal bei Galeria-Kaufhof-Karstadt-Hertie-… Wie heißen die? Warst du da schon mal in der Kofferabteilung? Da gibt’s ja voll die Auswahl und die wollen alle unterschiedliche Reim-Dingsies hören. Und das ist ja das nächste: Du und das ganze andere Sperrgepäck, ihr hört den Scheiß natürlich auch nur. Podcasts sind ein Nebenbei-Medium, ja, that’s a thing, believe me. Wie willste da denn die ganzen Nuacen und Bedeutungsebenen mitschneiden? Das ist doch – Achtung – Überleitung – ungeheuer schwer! Du Koffer! Ich versuch’s einfach mal weiter. Und wenn die Hörer*innen-Zahl dann irgendwann einstellig wird, dann nehme ich auch Wünsche an. Wie so ein Hochzeits-DJ. Apropos – Erstens: Ich hab immer noch riese Probleme, das Wort Apropos zu buchstabieren. Geht dir das auch so? Megakackeschwer, sich das zu merken, finde ich. Und: Bewertung. Das hier ist umsonst und draußen für Dich und alles gut. Ich freu mich aber im Gegenzug mega über Sterne und Worte bei Apple Podcasts. Du Koffer. Tschüss
Der Wolf
Es stand am Waldesrand allein,
Die Schnauze feucht und hoch das Bein,
Herr Peters, seines Zeichens Arsch
Mit Wohnsitz in der Wesermarsch.
Zehn Meter nur von seinen Haus
Ist Peters, wie so oft schon, raus
Zum Waldrand hinterm Zaun marschiert
Und pinkelt lang und ungeniert.
Er wähnt sich ohne Zeugen, was,
Bei altem Baumbestand und Gras,
Das vor ihm wächst, auch naheliegt,
Bis plötzlich sich ein Bäumchen biegt
Und über junge Triebe bricht
Ein Wolf ins Licht, der hackedicht
Von schwarz gebranntem Fusel spricht:
„Wasmasduhier? Ich… kenndichnich!
Herr Peters, das ist allbekannt,
Ist auch der Chef vom Grundbuchamt,
Dem, wenn er nicht am Waldrand pisst,
Die Ordnung hoch und heilig ist.
So hebt er, als er sich erholt
Vom Schrecken hat, und ungewollt
Den Schniedel fast im Reißverschluss
Geklemmt hat, seine Hand zum Gruß:
„Der Name ist, wie’s auf dem Schild
An meiner Haustür abgebild‘
Gut lesbar für Passanten steht
‚Herr DOKTOR Peters‘. Und, wenn’s geht,
Würd ich, bevor wir beiden jetzt
Den Sachverhalt des Wegerechts
Den Sie, Herr Wolf, ganz offenbar
Sehr anders seh ’n, als Ich ihn sah
Als ich dies Haus am Waldesrand
Mit Waldstück letztes Jahr erstand,
Würd ich zunächst den Dichter bitten,
Meinen Titel, den erstritten
Ich sehr stolz bin, hier im Stück
Bis hoch zum ersten Vers zurück
In voller Länge zu erwähnen.
So viel Zeit sollt‘ man sich n(a)ehmen!“
Das, und hier spricht jetzt der Dichter,
War zwar schlecht gereimt, doch spricht er,
Also Peters, etwas an,
Das erwägenswert ist. Wann
Hat ein Dichter Möglichkeit,
Wenn vielleicht auch nur im Streit,
Einer seiner Hauptfiguren
Mittels Rekursivstrukturen
Etwas mehr Gerechtigkeit
Zu gewähren? Und so sei
Alles, was bisher berichtet
Rückgespult und neu gedichtet:
Neulich also stand am Wald,
Nase hoch und Schniedel kalt,
Dieser Arsch von Grundbuchamt,
DOKTOR Peters, und er stand
Nicht allein. Nur war ihm das
Nicht bekannt. Und als ins Gras
Sein Urin sich tröpfelnd fraß
Brach durchs frische grüne Nass
Dieser Wolf, der, stark betrunken,
Ethisch schon recht tief gesunken
War, und ohne große Dramen
DOKTOR Peters auffraß. Amen.