Der Plan
Ich habe eine Auster in der Wanne
Und eine Auster schwimmt bei mir im Klo.
Die Dritte hab ich letztens in ’ne Kanne
Mit Wasser reingelegt. Frag mich nur, wo…
Ich hatte alles lange am Computer
Geplant, wie „Matze und die Muschis“ triumphier’n
Die Charts erobern und mit richtig guter
Musik die Medien und die Massen faszinier’n.
Die Proben liefen gut. Die Austern haben
Gerockt wie Bolle. Hatten’s richtig drauf!
Der Sound: Akut stabil! Ich sah schon Scharen
Von Fans am Schrei’n, die Hallen ausverkauft.
Tja Leute. Und dann kam Corona:
Konzerte abgesagt. CD geknickt.
Jetzt sitz ich mit drei Austern in der Wohnung
Und fühle mich vom Leben echt gefickt.
Hi, i bims, der Matze, nur ohne die Muschis, die sind ein bisschen einsilbig zurzeit, da hab ich sie von jeglichen Mikrofonpflichten befreit. Austern bewegen sich nicht und haben im Prinzip keine Sinnesorgane, das muss ein schönes Leben sein. Nichts stört, nichts stinkt, kein Netflix, nur futtern und Fortpflanzung und was für eine! Austern sind Hermaphroditen, haben in sich also das Potential zur Ausformung mehrerer Geschlechter. Und während die Pazifische Auster zuächst als Männchen auf die Welt kommt wovon dann nach einige Zeit nigefähr die Hälfte weiblich wird – ich hab keine Ahnung, vielleicht gibt`s da ´ne Castingshow oder so – während das bei der pazifischen Auster jedenfalls ziemlich geordnet abläuft und die Weibchen dann auch Weibchen bleiben – warum auch nicht, oder? – währenddessen ändert sich das bei den europäischen Austern quasi ständig. Geil. Und noch viel besser ist das deutsche Fachwort dafür, die europäischen Austern heißen „Konsekutiv rhythmische Hermaphroditen“. Ihr Lieben, ich hab echt lange an einem Gedicht gearbeitet, in dem Konsekutiv rhythmische Hermaphroditen nicht nur vorkommt, sondern auch das Metrum bestimmt – Konsekutiv rhythmische Hermaphroditen – aber mir ist dann irgendwann aufgefallen, was für akademische Rattenscheiße sowas eigentlich ist und hab mich stattdessen – apropos akademische Rattenscheiße an etwas erinnert, was mir letztens ein netter Rezipient schrieb, nämlich, ob der Name dieses kleinen Podcasts hier eigentlich etwas mit Kofferwörtern zu tun hat und ja! Natürlich! Ich hab mir ja geschworen, in diesem Podcast niemals Wikipedia vorzulesen, aber schau gerne selbst mal nach, was so ein Kofferwort eigentlich ist. Es ist einfach die Verschmelzung zweier Wörter in ein neues Wort, in dem beide Ursprungsbedeutungen enthalten sind und wie’s der Zufall so will ist Hermaphrodit natürlich ein tolles Beispiel: Aus Hermann und Aphrodite wird Hermaphrodit und das heißt: Männlich und Weiblich. Und es gibt in der Sprachwissenschaft natürlich noch eine Reihe andere berühmter Beispiele: Aus dem Adjektiv „Breit“ und dem Tiernamen „Frettchen“ wurde im 18. Jahrhundert das „Brettchen“, im Prinzip einfach der Verweis auf die damals gängige Methode, wie Brettchen, Frühstücksbrettchen hergestellt wurden, in dem man einfach mithilfe eines Hammers ein Frettchen breit schlug und es dann einige Monate zum Trocknen aufhängte. Es gibt tausend weitere Beispiele. Und, um zurück zur Ausgangsfrage zu kommen: Dieser Podcast heißt „Ein Koffer Wörter“, weil ich das einen coolen Namen fand und auf unserem Speicher offensichtlich noch ein Koffer herumstand. Und jetzt kommt der Trick: „Speicher“. Plus „Offensichtlich“. Gleich: „Spoffen“. Also bleiben wir bei Koffer. Klar geworden?
Auf dem Speicher
Manchmal gähnt der Tag mich an,
Das Maul weit aufgesperrt, dass ich
Das Zäpfchen zucken sehe im Minutentakt,
Dass sein Gestank nach unverdauter Zeit
Mich würgen lässt
Dann kotz ich Großbuchstabensuppe in mein WeWeWe
Dann geh ich auf Besuch zu meinem Einkaufskorb
Im WeWeWe
Und stopfe ihm und meinem Tag das Maul
Mit Sternen, die an Dingen hängen.
Immer fünf, wie ein versoffener Advent.
Dann leg ich mich vor meine Tür
Und schau dem gelben Mann durch ihren Schlitz zu
Wie er beige Boxen stapelt
Bis das Schlitzlicht dunkelbeige
Dann rot und schließlich schwarz wird
Und erlischt
Dann träum ich von der Zeit
Die roch, wie frisch gemähtes Gras
Und Sommerstaub auf einem Speicher
Voller Kisten zwischen Sonnenstrahlen
Und ich ahne, dass es einfach
Beige Boxen der Verwandten waren
Deren Zäpfchen nicht mehr zucken
BREAKING NEWS: Literaturnobelpreis 2020. Gerade im Livestream gesehen, dass Louis Glück ihn bekommen hat und jetzt kommst du. Wie findest du das? Kennst du die Dame überhaupt? Ich hab bis eben so gedacht. What?! Kennischnisch. Nie gehört. Aber ich sag mal so: Kennst du Jennifer Doudna? Die hat das Ding dieses Jahr in Chemie gewonnen. Chemie, brrrr, oder? Aber hast du da auch gedacht: What?! Kennischnisch. Ich frag ma so rum: Welchen Chemiker oder welche Chemikerin kennst du denn so? Außer deinen ChemielehrerInnen? Aber in Literatur, da finden auf einmal viele, sie könnten da mitreden. Ich kann’s nicht. Aber ich freu mich sehr, dass eine Lyrikerin gewonnen hat, und damit komm ich auch mal zum Titel der heutigen Folge: „Ambitionen“
Milchzahn
Wer sagt es ihr?
Den Alte-Leute-Text mit Jahren
Und der Jugend und mit der Vergänglichkeit?
Wer sagt der laut-vergnügten Lücke mit dem Blutzahn
In dem schnottenkrustensatten Händchen
Dass es keinen Grund zur Freude gibt?
Ach kuck! Da issa ja, der Satz! Der,
Wäre man nicht pazifielbeschäftigt
Schnell als nasenblutverschmierter Klumpen
Diesem Sager in der alten Fresse landen würde!
Nur weil du ein mittelstark-verpfuschtes
Leben vor dir herträgst wie den Scheck aus dem
Vergleich im Musterfeststellungsverfahren
Arschloch gegen Arschlochfirma
Ist dein Wunsch nach Neu noch lange keine Norm
Nicht mal besonders sinnvoll
Denk dir nur: Nochmal dein ganzes Arschlochleben!
Macht doch keinen Sinn
Ich sage: Raus den viel zu kleinen Zahn!
Und größer, besser, krasser werden als
Der mittelstark-verpfuschte Loser
Mit dem Nasenbluten
So viel Zeit muss sein
Ich glaub, ich bin sowas wie Experte für Ambitionen. Nicht die eigenen. Da gibt es einen blinden Fleck, der ist halb so groß wie zwei Saarländer. Aber die Ambitionen der anderen, die hab ich gesehen. Und mitgemacht. Und mitgelitten. Und mitgefeiert. Ich hab Arschlöcher gewinnen sehen und die nettesten Kerle verlieren. Und umgekehrt. Und wenn du das nicht versteht, dass alles möglich ist, weil das Leben komplizierter ist als dein Weltbild, dann wünsche ich dir viel Spaß mit deiner Arschlochweltsicht, egal, ob Du von unten oder von oben auf die Dinge schaust. Ich sag nicht, dass es keine statistischen Auffälligkeiten gibt. Aber das ist nur Statistik. Und ich sag nicht, dass man immer die Wahl hat. Du kannst, auch ohne die Wahl zu haben, ein Arschloch sein. Oder werden. Oder was erreichen. Oder scheitern. Aber weißt du, was du immer tun kannst, egal, wo du gerade bist? Wenn du glaubst, dass es darauf eine Antwort gibt, dann hast du’s nicht verstanden. Tschüss.
In der Ritterstraße
In der Ritterstraße ist der Sperrmüll abgeschafft
Manchmal, im Januar, fliegen Tannenbäume
Auf den Innenhof
Als Teamevent
Und das ist alles
Alles
Ist schon alles
Alles andere wird noch gebraucht
Die Tische werden noch gebraucht
Die Stühle werden noch gebraucht
Die MacBooks werden noch sie werden
Immer noch und immer wieder
Werden sie gebraucht
Ja selbst die Schilder mit den flotten Sprüchen
Werden noch gebraucht
Die Schilder, die zuvor an Backsteinwänden
Die zuvor in Traumfabriken hingen
Schaffen nie den Weg hinunter an die Straße
Einmal in der Woche
Ungefähr
Oder im Monat
Wenn ein Traum zerplatzt
Und eine Miete aussteht
Oder vier
Wenn Träume und Ideen platzen
Wie die Seifenkisten
Auf der Abfahrt in die Hölle
Einmal in der Woche
Ungefähr
Wenn Tische in den Hof getragen
Lebensläufe aktualisiert
Und Insolvenzanträge an das Amtsgericht Charlottenburg von Praktikanten
In die Post gegeben werden
Kann man echte Tränen sehen
Ehrliche Bilanzen lesen
Doch die Tische werden abgefangen
Schaffen nie den Weg hinunter an die Straße
Weil es noch Ideen gibt und Seifenkisten
Und Bedarf an Tischen, Stühlen und Computern
Weil es Träume gibt, die dumm und falsch
Und trotzdem ehrlich seien können
Träume, groß genug für Teamevents
Und dumm genug für Weihnachtsbäume
Träume, die zu Schildern führen
Die an Backsteinwänden hängen
Keine Zeit für Sperrmüll
Und wenn doch mal etwas übrig bleibt
Und unten an der Straße steht
Erfindet eine eine App dafür
Sie braucht dafür
Nur einen Traum
Und einen Tisch
Und einen Stuhl
Ein MacBook und ein Schild
Mit einem flotten Spruch an einer Backsteinwand