EKW029 Tanzendes Haus

Sonnensonett

Die Sonne war die ganze Zeit am Scheinen
Den ganzen Sommer, ey, hat’se gelacht
Hat dies Jahr echt’n guten Job gemacht
Jetzt isse weg und alle nur am Weinen

Die Leute ham“ne Laune zum Vergessen
Ich hab mir heute Rotwein mitgebracht
Ins Office. Tür zu, Heizung angemacht
Und träume von Bikinis und Zypressen

Und denk: Der Sonne geht’s wahrscheinlich ähnlich
Liecht irgendwo erschöpft im Weltall rum
Und denkt: Wat war ich dies Jahr wieder dämlich!

Ich mach mich ewig für die Leute krumm
Und kriege nix zurück. So is dat nämlich!
Ich mach Schluss. Viel Spaß beim Sterben! BUMM

Ach ja, der Herbst. Mit Regen, Wind und noch mehr Herbst im Gepäck. Mein Name ist Matthias und ich hab natürlich trotzdem rasend tolle Laune, denn, liebe Leute, hoch die Hände, Wochenende! Zumindest hier, in meinem unfassbar linearen Universum, wo sich seit Jahrmilliarden Samstage auf Freitage auf Donnerstage türmen, strahlt das Wochenende hinter der nächsten Biegung. Es ist eine absolut verachtenswerte Angewohnheit, dies als einen Sieg zu feiern, denn natürlich ist es eine Niederlage. Eine Niederlage gegen einen Alltag, den zumindest ich mir einmal so erträumt hatte, dass die per Excel-Tabelle mögliche Einteilung der Zeit in planbare Häppchen ein Problem der anderen sein würde. So sitze ich am Ende einer vielstufigen Kapitulation und schüttle ungläubig den Kopf. Hatte man mir nicht jede einzelne dieser Stufen als einen Sieg verkauft? Die Schul- und die Berufsabschlüsse, akademische Meriten und die halbjährlich stattfindenden Zielvereinbrungsgespräche? Jedes Ziel ein Freitag und dann:W-O-C-H-E-N-E-N-D-E! Disney-Club und Butterkuchen, Kaffee, Schnaps und Filmemarathon uuuund… hallo, I bims, Montag morgen, und dass du mich hasst, liegt nicht an mir und auch nicht, lieber Kalle Marx, am schlechten alten Kapitalismus, das liegt allein, und zwar ausschlioeßlich daran, dass Du Dich die ganze Zeit so leicht verarschen lässt. Von wem, fragst Du, und wer die Antwort kennt, besitzt wahrscheinlich einen Spiegel. Nur: Wie lautet sie?

Reise nachje Rusalem

Hier bin ich. Zwischen allen Stühlen
Sitz’ ich. Lach ich. In den Grautagsmühlen
Mach ich gute Miene. Mittelschiene, immer.
Aber viel und leicht verrückt. Doch schlimmer
Wär’s, zerdrückt vom bösen, weil nicht meinem Spiel
Zu sein. Mein Ziel ist: ungestört den schnöden Pflug zu ziehen
Meine öden Kreise leicht verstört doch unerhört empört zu zieh’n
Zu Lachen, wenn mich einer ungestraft zur Schnecke machen will
Nur weil ich weder triumphier’ noch mich verkleide. Oder leide. Nein!

Zu weinen, wenn ich keine Lust aufs Lachen habe (oder Zwiebeln schneide);
Oder schreien, wenn ich blanken Unsinn schreibe;
Leiden, wenn ich manchmal einsam scheine,
Die Beine länger sind als meine Leine
(Meine nur lebensspannenlange
Menschenleine). Schwitzen nur
Weil mir das Wort gefällt
Und nicht so schnell zu fallen.
Lieber: Zwischen allen:
Stühlen: Sitzen

In dem Land, aus dem ich stamme, gibt es ein altes Sprichwort: „Wer den Wotan nicht ehrt, ist des Waldis nicht wert!“ und bisher hat noch niemand herausfinden können, was das denn wohl bedeuten könnte. Einige tippen auf Trunkenheit, andere auf Fachbegriffe aus dem Maurerlatein. Doch leider sind sie alle tot, die Maurer. Es gibt nur noch regelmäßig und im Kreis insolvenzanmeldende Hoch- und Tiefkonzerne, die Subunternehmen beauftragen, Subsubunternehmer_innen zu finden, die unter Einhaltung der Förderungsregularien von KfW-Merkblatt 153 energieeffizienten Kram im Rahmen von Verdichtungsprojektpilotierungsmaßnahmen in die Gegend zu kübeln. Zeitgerecht, versteht sich. Irgendwo demonstriert die örtliche NaBu- oder BUND-Gruppe gegen oder auch mal für irgendwas und alles ist so wie immer. Selbst ohne Maurer. Nur in Sachen Wotan bringt und das nicht wirklich voran. Ich tendiere, wie Du wohl auch, zu der Annahme, dass es sich bei Wotan und Waldi um Hunde handeln muss, doch die Igellobby protestiert und hat sogar ein Gutachten in Auftrag gegeben. Und bevor Du jetzt entnervt die Skip-Taste betätigst, um Dir in einem beliebigen anderen Podcast die tägliche Corona-Dröhung zu geben, möchte ich Dich mit einem letzten, wehmütigen Rückblick auf den Sommer entlassen. Denn Du bist ein toller Mensch, da bin ich mir ganz sicher, und hast ihn Dir redlich verdient, den Rückblick. Lass ma Montage wieder populär machen. Und Dienstage. Und so. Wir schaffen das. Tschüss.

Tanzendes Haus

An der Brücke steht ein tanzendes Haus
An der Jiráskovo náměstí 6 (schest)
In der Stadt der 100 Türme wirbelt es
Und streckt die Arme weit hinaus

Ein Paar, das innig an der Moldau tanzt
Und morgens, vom Berufsverkehr umbraust,
Dem jungen Kerl hat es das Haar zerzaust,
Dem Ende einer langen Nacht entgegenbangt

Ich seh sie voller Wehmut an der Brücke sitzen
Eine Zigarette links der Zukunft zugewandt
Und im Gesicht streicht eine fremde Hand
Behutsam Sorgen fort und dreht an Haaresspitzen

Aus der unverschämten Schönheit ihrer Jugend
Bleibt von dieser Nacht: Erinnerung
An Moldauwalzer in der Morgendämmerung
Und die gedrehte Spitze gegen alle Tugend