EKW038 Remember! Remember!

Remember, remember, the 5th of November!

Hi, Matthias hier. Diese Merksprüche! Schlimm, oder? Ich krieg sie einfach nicht aus meinem Kopf und wahrscheinlich hab ich auch deshalb irgendwann begonnen, eigene Merksprüche aka Reimdingsis zu erfinden. Die Dinger sitzen so richtig tief irgendwo zwischen Sprachzentrum und dem Teil, der für Cocktailpartywissen zuständig ist, und ich werd‘ sie wohl nie mehr los. Remember, remember! Guy Fawkes Day. 753, Rom schlüpft aus em Ei. 333 – Issos Keilerei. In des Alten Bundes Schriften merke Dir an erster Stell: Mose, Josua und Richter, Ruth und zwei von Samuel. Sum, es, est, Sumus estis sunt. Okay, das letzte reimt sich nicht, man kann es aber auf „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“ singen. Rechtschreibung? Wie schreibt man „Guy Fawkes“? Oder „Issos“? Oder „sunt“? Keine fucking Ahnung! Aber „Von der Stirne heiß, rinnen muss der Scheiß!“, das kommt einfach so. Die Glocke überhaupt. Und Rilke: „Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe, und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Ich gucke wirklich jeden Scheiß bei Wikipedia nach, wofür hab ich denn ein kollektiv gepflegtes Universalgedächtnis in diesem Internetz? Aber für die Sachen gerade muss ich mir nicht mal an den Hinterkopf hauen. Und das geht wohl vielen so. Du kannst wirklich furchtbar arme Alzheimer-Patientinnen und -Patienten vor Dir haben. Die wissen nicht mehr, wie ihre Tochter heißt. Aber den Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, den können sie dir vorsagen. Und damit komme ich mal zum Thema. Denn die Reimerei bei den Reim-Dingsis, die ist irgendwann aus der Mode gekommen. Und zwar nicht einfach so, sondern weil die Welt eine andere geworden ist und wir Menschen auch. Wir haben angefangen zuzugeben, dass man sich nicht für alles auf dieser Welt einen Sinn zusammenreimen kann, dass alles voller Paradoxien, Quantensuperpositionen und Genozide ist und sorry, aber das passt nun mal nicht zusammen.

Auf der anderen Seite: Wie viele Gedichte von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufwärts kennst Du? Zumindest fragmentarisch? Ja genau! Und „ottos mops“ arbeitet, wenn auch wenig mit Reimen, doch mit ähnlich klingenden Lauten. Und Celans „Schwarze Milch in der Frühe“ aus der „Todesfuge“, die reimt sich zwar nicht, hat aber ein jambisches Versmaß“. Es gibt aus dieser Zeit Hammer-gute-Gedichte da draußen, aber um Sprache zu verdichten, braucht man irgendeinen Ansatzpunkt. Weil einfach nur jedes zweite Wort in einem Text weglassen, geht zwar auch, ist bestimmt auch schon gemacht worden, ist aber nichts, was im Gedächtnis bleibt. Jaaaaha! Werden jetzt die Schlaumeier/innen sagen, aber genau darum gehts doch! Lyrik ist doch keine Popmusik. Stimmt. Häufig ist sie schlechter.

Julimond

Im Juli wohnt, weil es sich lohnt,
Die Juli auf dem Julimond
Das ist mitunter defizil
Weil das die NASA so nicht will
Und auch die Russen skeptisch sind:
So groß der Mond, so klein das Kind!
Doch Juli mag den Ausblick sehr
Und außerdem sind Ferien, wer
Kann da schon widerstehn?
Die NASA nicht, das kann man sehn
Der große Chef, Jim Bridenstine,
Legt seufzend seine Brille hin
Und sagt: Jetzt lasst das Kind schon ziehn
Es ist halt äußerst mondaffin
Und auch der große General
Der Russen lächelt jedesmal
Wenn Juli flehend vor ihm steht
Da, da, sagt er, stets aufgedreht
Weil er sich gut erinnern kann
An seine Kindheit. Guter Mann!
Und darum reist auch dieses Jahr
Die Juli auf den Mond, und da
Sitzt Juli auf dem Julimond
Und blickt herab. Weil es sich lohnt.

Gedichte, die sich reimen, sind also Popmusik. Grußkartenlyrik. Ästhetischer Rückschritt und 19. Jahrhundert. Und, was häufig noch viel schlimmer ist, sie sind nicht politisch. Affirmativer Prenzelberg-Biedermeier. Weil wir Reim-Dingsi-Schmiede darauf achten, Coffee-Table-Kompatiblen Repräsentationsscheiß zu machen, möglichst inklusiv, damit er auch verständlich ist und wenn schon gesellschaftspolitisch relevant, mit so Allgemeinplätzen wie „Carpe diem!“ oder „Kauf Energeisparkühlschränke!“ oder „Sei lieb zum Amazon-Boten!“ oder irgendwie sowas. Ich sach mal so: Ist doch besser als kommunistischen Riesenarschlöchern und Massenmördern wie Mao-Zedong zu huldigen, wie einige der hochpolitischen Dichter vor 50 Jahren es aber sowas von getan haben. Hätten sie mal besser Biedermeierdeckchen geklöppelt.

Gib Gummi, Carl, gib Gummi!

5 Kinder hat Carl, 5 Kinder
5 Kinder, 1 Frau und 1 lustigen Job
1 Plan hat der Carl, kriegt 1 mächtiges Lob
Von 1 Führer. Der Carl sei 1 großer Erfinder
1 Kerl! Menschenskinder! Kein Dummi!
Gib Gummi, Carl, gib Gummi

3 Werke baut Carl, 3 Werke
3 Werke, 1 Plan und 1 4tes im Bau
4 Gummifabriken, 1 Carl ist sehr schlau
4 Räder, für Deutschland und großdeutsche Stärke
1 Blitzkrieg braucht rollende Brummis
Gib Gummi, Mensch Carl, gib doch Gummis

1 Firma mit lustigem Namen hat Carl
1 Firma mit Farbe im Namen. Schön bunt
Die 4te Fabrik liegt auf großdeutschen Grund
In Auschwitz erfüllt sich 1 Traum prahlt der Carl
Und hüpft wie 1 großdeutscher Flummi
Aus Styrol-Butadien-Gummi

2 Fliegen hat Carl, 2 Fliegen
2 Fliegen hat Carl so auf 1 mal gepackt
Hat gut Zwanzigtausend in Auschwitz verklappt
Und Gummi geliefert 1 Endsieg zu kriegen
5 Kinder, 1 Frau und 1 Großdeutscher Dummi
Und 1000e Tonnen von Gummi

Referenz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Krauch
https://de.wikipedia.org/wiki/Buna_(Kautschuk)

Remember, remember, the 5th of November. Damals, da hat man sich damit begnügt, das Parlament in die Luft zu sprengen. Moralisch eher fragwürdig, aber in der Mittel-Zweck-Relation durchaus verständlich. Leider hat sich der Terrorismus parallel zur Lyrik auch weiterentwickelt. Und leider in die strategisch kluge Richtung, keine anderen Ziele erreichen zu wollen als Angst und Verunsicherung bei den so genannten Feinden. Sind jetzt keine Parlamentarier mehr, sondern einfach die Menschen, die gerade verfügbar sind. Hauptsache, du kommst ins Fernsehen damit. Und ins Paradies. Dabei hatten wir die Sache doch längst geklärt, dachten wir. Oder? Ich hab’s tatsächlich gedacht. War ein Fehler. Wie vielleicht die ganze Sache mit dem Reimdingsi-Machen. Aber da hängen wir jetzt alle zusammen drin. Bis morgen. Tschüss!

Endstation

„Arbeit soll sich wieder lohnen!“
Rief ein Terrorist erst neulich
In der U-Bahn, deutlich bläulich,
Und schrie: „Scheiß auf Explosionen!“

„Ich geh drauf und mit mir alle
Heiden hier. Okay! Doch ralle
Ich nicht ganz, wie in dem Falle
Ich mir die Belohnung kralle?!
Stellt euch vor: Ich knall euch alle
In die Hölle. Doch statt Malle,
Malediven und Kristalle
Gibt‘s für Märtyrer nur: Halle!
(Nicht Westfalen – An der Saale!)
Jetzt mal ernsthaft: Ich bezahle
Hier mit meinem Leben!! Alle
Ollen: Schöne, schlanke, dralle
Will ich zur Belohnung knallen!
Weiß man‘s? Nee! Ist das`ne Falle?
Nachher quatscht da nur die Qualle
Von Pro7?! Pillepalle!
Kurz gesagt: Alles in Allem
Scheint der Outcome nicht so pralle!“

Greift zum Gürtel, löst die Schnalle
Leider ist der Zünder alt.
Countdown läuft. „What…!?“ Und es knallt.
Letzter Halt? Ihr ahnt es: Halle.