EKW043 Keine Flügel mehr

mein lieblingsmarienkäfer

ist rot und schwarz gepunktet hat keine beine mehr
ein körper wohlgerundet
und keine beine mehr

ist meilenweit geflogen hinter den beinen her
auf meiner hand gelandet und fliegt wohl nimmermehr

hat keine flügel mehr
keine flügel mehr

Hi, Matthias hier. Marienkäfer im November. Hab ich lang‘ nicht mehr drüber nachgedacht. „Mama, wo gehen all die Marienkäferchen im Winter hin?“ „Zum Lieben Gott in den Himmel, Antonia, da ist es warm und kuschelig.“ Aber halt! Wir können uns die Euphemismen sparen, sie sterben tatsächlich nicht! Sie überwintern, gar nicht selten irgendwo an oder in Menschenhäusern. Ich hatte mal einen, das ist schon einige Jahre her, der saß mitten im November plötzlich auf einer Chilipflanze auf meinem Küchenfensterbrett und hat die Blattläuse gefuttert, die sich dort vermehrt hatten. Wir haben ihn „Eike“ genannt, keine Ahnung, warum. Aber ich könnte mir vorstellen, dass wir einfach keine Ahnung hatten, ob Eike nun ein Kerl oder eine Tusse war und da schien uns dieser Name eine sichere Bank zu sein. Eike war dann eines Tages einfach nicht mehr da und könnte mir vorstellen, dass er oder sie sich sattgefresen hatte und irgendwo unter der Küchenspüle pennen gegangen ist. Gerade noch rechtzeitig, um dem ganzen Weihnachtszinober zu entkommen. Ich will hier nicht den Teufel an die Wand malen, aber Weihnachten, puh. Dieses Jahr ganz besonders puh, glaub ich. Was soll denn der Herr Jesus sagen zu diesem Corona-Weihnachten. Der wollte doch bestimmt auch einen richtig schön Geburtstag feiern. So ’ne richtige Sause vielleicht. Jede Menge andere Kinder einladen, Torte und Pommes futtern, tausend Geschenke kriegen und nachts dann kotzen wegen der vielen Bockwurst und dem ganzen Kartoffelsalat. Und stattdessen: „Maske auf, Mistblag! FFP3, Du musst noch ein paar hundert Jahre durchhalten bis die Menschheit ausstirbt!“ Das arbeitet in so einem Kind. Lange, lange arbeitet es, besonders in Einzelkindern, das kennt man ja. Und irgendwann, dann bricht’s sich Bahn und der Silokonchip in seinem Kopf schaltet auf „Überladen“.

2 Vierzeiler

Es hat, in später Juninacht,
Ein Kind die Eltern umgebracht.
Gefragt, warum, kratzt’s sich am Ohr:
„Ich hatte grad nichts bess’res vor.“

Der Golem in der Ecke schwieg,
Als Joscha auf Rebecca stieg.
Der Hass in seinen Augen war
Das Letzte, was Rebecca sah.

Ach. Eigentlich geht’s uns doch ganz gut. Ich sitze hier vor meinem Mikrofon, esse Salzkaramell-Schokolade, und irgendwo tief in mir drin ertönt Guido Westerwelle, Gott hab ihn selig, und flüstert „Spätrömische Dekadenz…“ Warum auch nicht? Ist doch bald eh alles vorbei, nicht war? Gestern hab ich einen Radiobericht über das Gedenken an das Seilbahnunglück von Kaprun in Österreich gehört und dachte noch: Krass, das ist doch jetzt auch schon wieder, tja, 5 Jahre her oder so… Waren aber 20. Jahre! 20! Da hilft auch alles Salzkaramell der Welt nicht mehr. Man sollte, wenn’s denn mit der täglichen Medikation kompatibel wäre, ausschließlich Champagner trinken. Aus Maßkrügen. Ich hab Euch lieb. Tschüß.

Im Spiegel schaut mich einer an
Der hat zu viele Haare dran
Am Bauch, am Rücken, selbst am Arsch
Und Falten auch. Drum trauermarsch-
ier ich jetzt in der Gegend rum
Und nehm’s dem Spiegel scho‘ auch krumm
Dass der mir statt der Wahrheit nicht
Was Schönes zeigt, statt dem Gesicht
Vielleicht ein junges Fräulein zeigt
Das die Vitalfunktion antreibt,
Und Donner: Wirklich steht sie da
Grad hinter mir und nimmt mich wahr
Und schaut an mir herauf, herab…
„Ich muss auf’s Klo, Papa, hau ab!“