Igel, Komma, schon was älter
Schau, der alte Igel, wie
Er schüffelt, aufgeregt wie nie,
Er sucht im Strauch die alten Stellen
Dort: Die Schnecke! Da: Das Bellen
Eines Hundes, den er kannte,
Bis der auf die Straße rannte…
Ach, was ist das lange her,
Und hier, die Ranke gibt’s nicht mehr,
Dafür steht wankelmütig da
Das Schilfgestrüpp, wie’s immer war,
Und ist das nicht der Thymian,
Den man mit Maden fressen kann?
Na klar! Mit Schnittlauch, Rosmarin!
Der Igel seufzt und schmilzt dahin
Grad‘ neben dem Rhabarbarbeet
Wo jetzt die Reichskriegsflagge weht.
Nun aber ab ins Schlafversteck
Denkt er. Doch das ist weg.
Oh Schreck.
Hi, Matthias hier. Ich habe ein wenig Sorge um unsere Mikrowelle. Und das hat mit Hartmut zu tun. Hartmut ist unsere neue Waschmaschine und er hat mich daran erinnert, dass es schon bald kein Gerät und kein Utensil in unserer Küche gibt, das den anderen Geräten von früher berichten kann. Von der allerersten Wohnung. Dem Basislager 1 sozusagen. Uns Menschen stirbt die Kriegsgeneration weg und den Geräten in unserem Haushalt eine Vorgängerschaft, die noch wusste, wie es ist, zu siebt an einem ungesicherten Mehrfachstecker aus dem Lidl zu hängen, während Mikrowelle, Toaster und Wasserkocher gleichzeitig laufen.
Was hat das alles mit Poesie zu tun? Du ahnst es längst: Absolut gar nix! Und absolut alles, natürlich, denn das Leben ist kein Ammenmärchen, in dem die Guten ins Töpfchen und die Schlechten in Kröpfen kommen, will sagen, in dem es nur Entweder Oder gibt, denn im Schatten der Mikrowelle, in der ersten eigenen Wohnung fand ich es irgendwann den rechten Zeitpunkt, Reimdingsis zu schreiben. Eins pro Tag, mindestens. Ein Leben lang. Es kam dann, wie es häufig ist, was dazwischen, dieses Leben zum Beispiel, und die Mikrowelle, ein blauer Plastikbomber der Weltfirma LG übrigens, hörte bald nur noch wenige Reimdingsis. Das ist schon lange her, es war noch, das klingt inzwischen fast bestürzend, im letzten Jahrhundert, und darum erscheint es mir fast wie ein Wunder, dass dieses blaue Monster immer noch tapfer seine Runden dreht, täglich klaglos Wärmekissen, Nudeln und Porige erhitzt und in meiner Abwesenheit den anderen Elektrodingsis von früher erzählt. Von der D-Mark und den Chaostagen, die jährlich eine Straße weiter wüteten und von diesem Zausel, der schon damals Reimdindsis für seine Flamme verfasste, was ihm wenig später einen Ring und in der Folge immer neue Küchen, Kinder und noch mehr Reimdingsis bescherte. Eins der allerersten, die Reise nach Jerusalem, hab ich Dir im „Tanzenden Haus“, in Folge 29 vorgelesen. Und sogar noch ein bisschen älter ist wohl dieses hier, das hat der Igel grade noch entdeckt auf seiner Flucht vor neuen Flaggen in der Nachbarschaft.
siebenmeilenstiefel I
die tiefe des gruens, die hoehe des tages
verschwinden wie rastlose traeume in schlafender halbnacht
schafe und weizen auf schlafenden feldern und weiden
und pfadlose wege verlieren – erstmals betreten, spaeter
dann frei heraus – jeglichen sinn
brombeer und distel duepiert die mimosende nase
die nass-narbig-praegend der elenden miene den vorstand miemt
heuender duft endet duerftig im heute, das himmelnden blaus
aus der tuere des nahenden tages tritt, herrisch und hart
Ach, ja, rhythmische Jamben-Trochäen-Wechsel, paradoxe Adjektive und jede Menge Stabreime, alles drin, was ich auch heute noch für wichtige Zutaten eines guten Reimdingsis halte. Hartmut, unsere neue Waschmaschine, ist übrigens von Miele, so viel Sentimentalität muss sein. Dass Hartmut inzwischen auch Internet kann, ist irgendwie logisch im Jahr 2020, aber es bleibt eher beim Versuch. Hartmut ist eben doch der ostwestwälische Mittelständer, der lieber persönlich anruft und noch viel lieber gar nicht kommuniziert, weil, was gibt’s denn da groß zu labern, wenn doch alles funktioniert. „Kannste nix von sagen“, das stimmt wirklich, ist das größte Lob, das ich kenne, und dass ich doch eine ganze Menge zu sagen habe, spricht entweder gegen mein Leben oder meine Ideale. Wird überhaupt ein bisschen viel „Ich“ in dieser Folge und das nervt, wo doch die Welt grad vor die Hunde geht. Oder? Ja. Nein! Das ist falsch! Nicht das mit dem Ich, sondern das mit der Welt. Die geht natürlich nicht vor die Hunde. Und dass die Reichskriegsflagge inzwischen über manchen Querdenkerdemos weht, ja, meine Herrn! Immer noch besser als Minderheiten zu vergasen, findest du nicht auch? Nicht, dass ich Idiotie verharmlosen will, ich rücke hier nur gerade die gesammelte Weltscheiße „In perspective“, wie die Anglikanerin sagt. Solange Wohlstandsopfer wie ich abends täglich in ihr Aufnahmeequipment furzen können und hier ein paar Kinder herumstromern, denen ich gegen leichten Widerstand durch die Haare wuscheln kann, solange sollten wir die Kirche aber sowas von im Dorf lassen, mein lieber Herr Gesangsverein! Vielleicht geht es Dir da draußen ja gerade überhaupt nicht so richtig gut, vielleicht wärst du auch schon lecker mit einer Gorenje-Waschmaschine zufrieden oder einer Perspektive für Dein Leben oder ein bisschen mehr Gesundheit, und da sag ich Dir: Das Leben, das ja bekanntlich kein Ponyhof ist, mag ja manchmal echt beschissen sein, aber wenigstens stinkt es nicht die ganze Zeit nach Perd. Meine Meinung. So richtig viel mehr trösten kann ich nicht, auch nicht mit Reimdingsis, aber danke, dass Du trotzdem zuhörst. Bis morgen. Tschüss!
dunkle welt
ein fades leuchten dringt der daemmerung entronnen meinen augen zu
weltschmerz schreit das duenne seelchen regenwochenenden alle zeit einsamkeitsillusionen
der spiegel faucht mich an käsekuchenpoet
eine gemütlichkeitsregung…
am tag, als kurt cobain gestorben ist hab ich eine zwei geschrieben, in latein eine zwei geschrieben in latein
das fade leuchten lastet schwer auf meiner dunkelheit
auf meiner dunkelheit